Grenzenlos und unverschämt - May Ayim

Afrofeminismus, Rassismus, Diskriminierung, Lyrik, Literatur, Liestipp

Von May Ayim hörte ich zum ersten Mal während eines Workshops über Intersektionalität 2015 in Berlin.

In meinem Masterstudium in Karlsruhe bin ich ihr wieder begegnet.

Während des Corona Lockdowns habe ich mir „Grenzenlos und unverschämt“ bestellt - ein Sammelband mit ihren wichtigsten literarischen, lyrischen und politischen Texten.

Ein berührendes, kluges, vielseitiges und inspirierendes Buch; zur Einführung und zum Verständnis von May Ayim, ihrer Arbeit, ihren Werken; das Lust macht sich weiter und tiefergehend mit ihren Veröffentlichungen zu befassen.

Im ersten Absatz liest man: „Die ghanaisch-deutsche Autorin May Ayim wurde 1960 in Hamburg geboren. Sie war Diplom-Pädagogin und Logopädin. Am 9. August 1996 fasste sie den Entschluss, aus dem Leben zu gehen.“ Sie wurde 36 Jahre alt.

In einem Auszug aus ihrer ersten Buchveröffentlichung („Farbe bekennen“ 1986) heißt es: „Ich wuchs in dem Gefühl auf, das in ihnen steckte: beweisen zu müssen, dass ein ‘Mischling’, en ‘Neger’, ein ‘Heimkind’ ein vollwertiger Mensch ist. Daneben blieb kaum Zeit und Raum, mein ‘Ich’ zu entdecken.“

Folgendes Zitat stammt aus einem Gespräch, welches May Ayim 1987 mit der Zeitschrift AWA-FINNABA führte. 33 Jahre später in Luxemburg (besonders im Kontext der aktuellen Rassismusdebatte) ist die Aussage noch immer hochaktuell:

„Hier in Deutschland findet nämlich keine wirkliche Diskussion über Rassismus statt. Es wird von ‘Ausländerfeindlichkeit’ gesprochen, selten von Rassismus. Mit diesem langen Wort wird versucht, den tatsächlichen Grad und die Strukturen des Rassismus zu verschleiern. Die Leute sagen, dass AusländerInnen anders seien als Deutsche: Sie sähen anders aus und hätten einen anderen religiösen oder kulturellen Hintergrund, z.B. türkische Menschen. In bezug auf Schwarze Deutsche können sie so etwas nicht sagen. Gerne würden sie uns als Problem betrachten, nach dem Motto: Diese armen Afro-Deutschen. Sie sind ‘Mischlinge’, also haben sie Probleme. Wir haben aber mit unserer Hautfarbe gar kein Problem, erst die Gesellschaft macht es uns damit so schwer.“

Für sie ist Rassismus nicht bedingt durch ‘Minderheit und Mehrheit’, sondern „eine Frage von Privilegien und Macht“.

Gedicht von May Ayim, nachdem der Buchtitel benannt ist

Ayims Analysen sind detailliert, scharf und differenziert. Aber sie ist nicht nur Analytikerin, sie ist auch Aktivistin.

„Es steht fest: Die globalen und nationalen Abhängigkeitsstrukturen und auch die Machtverhältnisse innerhalb unserer persönlichen Beziehungen sind beängstigend und zerstörerisch, jedoch nicht statisch. Wir können verändern!“

Passend zu den Machtverhältnissen innerhalb persönlicher Beziehungen noch folgendes Zitat:

„Je größer die Nähe und die persönliche oder politische Freundschaft, desto schmerzhafter ist es wohl immer, machtvolle Unterschiede und Konflikte auszuhalten“.

May Ayim war Feministin und Frauenrechtlerin. Von Anfang an hat sie sich auch mit den Beziehungen zwischen weißen und Schwarzen Frauen beschäftigt. Auch hierbei sind ihre Überlegungen hochaktuell:

„Insbesondere weiße Frauen sind dazu aufgerufen, die Wut der Schwarzen Frauen ernst zu nehmen und auszuhalten. (…) Die Wut der Schwarzen Frauen sollte auch die Empörung der weißen Frauen sein, denn wir alle werden mit Lügen, Halbwahrheiten und Mythen verdummt und manipuliert.“

Die Parallelen und Verschränkungen von Rassismus und Sexismus waren für sie offensichtlich. Dass Toleranz, Nachsehen und Verständnis dabei Grenzen haben müssen wird während eines Interviews 1993 deutlich:

„Und mit Rechtsextremen oder mit erklärten Frauenfeinden würde ich mich z.B. auf gar keinen Fall an einen Tisch setzen. Das sollen bitte Ex-Faschos und pro-feministische Männer übernehmen.“

Silke Mertins schreibt am Ende des Buchs über sie: „May Ayim hinterlässt ihren Mut, ihre Stärke und ihre Visionen; zwei Gedichtbände, ihre Forschung und viele Menschen, die mit ihrer Entscheidung fertig werden müssen.“